„Grenzland“ und „Green Border“: unfassbare Gleichzeitigkeit von Lebensrealitäten
Ein aus Australien stammender Farmer, der jetzt ein ehemaliges schlesisches Rittergut auf der polnischen Seite bei Görlitz bewirtschaftet und beim Graben im Gutspark auf jahrhundertealte steinerne Zeugen der Geschichte stößt, eine polnische Bäuern aus Mieszkowice, die heute noch die Nachkömmlinge der Bohnen in ihren Garten legt, die einst ihre Mutter hier fand, als sie nach dem Krieg den Hof übernahm – die deutschen Vorbesitzer hatten vor der Flucht noch den Garten bestellt; eine polnische Abiturientin, die sich auf ihr Studium in England freut; ein 85jähriger deutscher Fischer, der auf einem Kahn im Zwischenstromland von Ost- und Westoder zwischen Gartz und Gryfino dahingleitet und über die viele Jahrzehnte sinniert, die er hier erlebt hatte; ein deutscher Schäfer, dessen Schafe von polnischen Schafscherern geschoren werden – und viele andere Menschen aus dem Grenzland und ihre Geschichten: All das hat der Dokumentarfilmregisseur Andreas Voigt zu einem filmischen Kaleidoskop von Lebensgeschichten aus dem Grenzland von Oder und Neiße verwoben. „Grenzland“ lautet auch der Titel des Films, den das MKC am diesjährigen internationalen Kinotag am Sonntag, dem 17. November zeigte.
Vom Leben, Hoffen und Sterben an den Grenzen
Das Leben an der Grenze mit seinen Herausforderungen, Chancen und auch Gefahren war das übergreifende Thema, das das MKC sich zum Kinotag ausgesucht hatte, mit dem das europäische Arthousekino gefeiert wird. Als zweiten Film zeigte das MKC den preisgekrönten Film „Green Border“, in dem die polnische Regisseurin Agnieszka Holland sich mit dem Flüchtlingsdrama entlang der polnisch-belarussischen Grenze auseinandersetzt. Ein harter der Film, der die Unmenschlichkeit schonungslos zeigt, mit der die polnischen Grenzbehörden die von der polnischen Regierung verordneten – und nach EU-Recht illegalen – Pushbacks umsetzen, um die aus dem arabischen Raum und Afrika kommenden Flüchtlinge wieder nach Belarus zurückzuschieben. Gezeigt wurden an diesem Kino-Themenabend also völlig unterschiedliche Realitäten entlang verschiedener europäischen Grenzen, die in ihrer Gleichzeitigkeit fassungslos machen.
Doppelte Flüchtlingsgeschichten
Andreas Voigt und die ehemalige Direktorin des Deutsch-Polnischen Instituts in Berlin. Dorota Paciarelli, die auch als Filmproduzentin und Kulturmanagerin tätig ist, stellten sich nach der Aufführung von „Grenzland“ in einem Filmgespräch den Fragen des Publikums. Bemerkenswert fanden Gäste aus dem Saal beispielsweise, dass der Film auch darauf verweist, dass die Flüchtlingsdramen nach dem zweiten Weltkrieg doppelte Flüchtlingsdramen waren: Die Deutschen mussten die von den Alliierten nun den Polen zugeschlagenen Gebiete verlassen. In ihre Häuser und Höfe zogen wiederum Polen, die ihrerseits ihre nun zur Sowjetunion gehörende Heimat verlassen mussten. Eine Szene aus „Grenzland“ prägt sich besonders ein. Die Polin, die heute noch die schwarzen deutschen Bohnen anbaut, die ihre Mutter einst in dem noch von den Deutschen bestellten Garten fand, zeigt ein Glas voller Bohnen in die Kamera und sagt: „In diesem Glas ist sie, die gesamte deutsch-polnische Geschichte seit dem Ende des zweiten Weltkrieges.“